Coworking ist Networking?!

Coworking ist Networking?!

Kürzlich haben wir Dr. Katrin Zeidler, Online-Expertin aus Greifswald zu unserem Netzwerktreffen im Gut Pohnstorf eingeladen. Der Ort, an dem das Thema Coworking und Networking zusammenkamen, war nicht zufällig gewählt. Die Hausherrin des Gut Pohnstorfs, Kamila Sösemann, engagiert sich selbst im neu gegründeten Verein „Smart Doerp“.

Doch bevor wir in das Thema Coworking, Workspace und Coliving einsteigen, wollen wir Licht in das Thema bringen, das noch nicht bei jedem für verständliches Kopfnicken sorgt.

Coworking – flexibel und ortsunabhängig

Ganz grundlegend lässt sich das Coworking herunterbrechen auf das Arbeiten an unterschiedlichen Orten und, wenn es noch einen Schritt weitergedacht wird, mit oder neben anderen Menschen. (aus “Neue Orte des Arbeitens” Dr. Alexandra Schmied Interviewreihe von Tobias Kremkau, St. Oberholz)

Coliving geht noch einen Schritt weiter, es beschreibt das vorübergehende Arbeiten und Übernachten an einem anderen Ort.

Was nun dieses „Arbeiten an anderen Orten“ und mit anderen Menschen bewirkt und warum sich bei dem Thema Coworking so viel tut und ob Coworking das Arbeiten in MV verändern könnte, dazu haben wir Dr. Katrin Zeidler stellvertretend für die Initiative Smart Doerp befragt.

Katrin, es gibt verschiedene Ansätze für Coworking. Was bedeutet Coworking für dich?

Für mich ist Coworking mehr als das reine Teilen eines Workspace. Ich mag den Gedanken, dass – je nach Art des Cowork – eine ganz eigene Community mit eigenen Werten entsteht. So bildet sich ein kreativer Raum für offenen Austausch auf Augenhöhe.

Ich begebe mich damit nicht nur an einen Ort, der mir die Infrastruktur für mein digitales Arbeiten bietet, sondern ich treffe interessante Menschen und spannende Geschichten. Ich erweitere meinen (Wissens)Horizont.

Natürlich erledige ich in einem Cowork meine Arbeit. Gleichzeitig kann ich mich jedoch einbringen und als Teil einer Community diese mitgestalten.

Dr. Katrin Zeidler, Virologin, Agenturchefin, überzeugte Coworkerin, heimatverliebt – mit großen Plänen

Welches Potenzial siehst du in diesem Thema für Gründer und Unternehmer? Und welchen Menschen empfiehlst du die Nutzung von Coworks?

Coworking ist etwas für selbstorganisierte, kontaktfreudige Menschen. Digitales Arbeiten ist dabei nicht unbedingt ein Muss, denn wenn an das Cowork ein Makerspace bzw. eine offene Werkstatt angeknüpft ist, können Coworks sehr wohl auch von handwerklich arbeitenden Menschen genutzt werden.

Als Gründer*In habe ich den großen Vorteil kein eigenes Büro mieten zu müssen und kostengünstig eine vorhandene Infrastruktur zu nutzen. Damit halten sich die Betriebskosten im Rahmen. Ein riesiger Pluspunkt ist auch, dass ich vor Ort Menschen kennenlernen kann, die Wissen mitbringen, welches ich selber nutzen kann um mein Business voran zu bringen.

So trifft zum Beispiel der Handwerker, der vor Ort den 3D-Drucker nutzt, die digitale Assistentin, die sich um seine Buchhaltung kümmern kann.

Aus Sicht eines Unternehmens sehe ich den großen Nutzen in der verbesserten Work-Life-Balance für meine Mitarbeitenden. Befindet sich das Cowork näher an deren Wohnort, gelingt der Spagat zwischen Arbeit und Familie leichter, Fahrzeiten werden eingespart, Umweltbelastungen reduziert. So haben alle etwas davon.

Generell sollten sich Unternehmen und öffentliche Partner in Coworks einbringen. Nirgends können sie näher an ihrer Zielgruppe sein. Es ist ja nicht neu, dass Unternehmen eigene Coworks oder Digital Hubs aufbauen, um Innovationen aus den eigenen Reihen zu befruchten und Abteilungsübergreifend an gemeinsamen Projekten zu arbeiten.

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Würdest du so weit gehen zu sagen, dass Coworking die Definition von Arbeiten in unserem Bundesland verändern wird? Welches Potenzial hat das Thema für unseren ländlichen Raum?

Den aktuell größten Einfluss auf unsere Art zu Arbeiten (und zu Leben) hat das Coronavirus. Es zeigt uns, dass Unternehmen keine riesigen Bürokomplexe in den Innenstädten mehr brauchen. Diese sind wie leer gefegt, weil die Menschen die Städte meiden, aufs Land flüchten und lieber von daheim arbeiten. In New York stehen bereits ganze Viertel leer. Und wenn die Menschen dort nicht mehr zum Arbeiten hinkommen, braucht es keine Restaurants und keine Nahversorgung vor Ort. Wir müssen endlich damit anfangen – auch in Deutschland – Städte neu zu denken und zu konzipieren.

Auf der anderen Seite fehlen im Homefoffice zwei elementare Dinge: die Distanz zum Privaten und der Austausch mit Arbeitskollegen. An dieser Stelle greifen Coworks an: sie bieten den Arbeitsplatz, den ich mir Zuhause nicht einrichten brauche und ich treffe in der Mittagspause auf jeden Fall andere Coworker.

Studien der HIERDA-Arbeitsgruppe um Professorin Bounken zeigen, dass Coworks im ländlichen Raum das Potential zu Gründerzentren haben. Davon profitiert die gesamte Region. Daher sind aus meiner Sicht Coworks im ländlichen Raum MVs wichtig für die regionale Entwicklung und Wertschöpfung.

Nun trägt dieser Blogbeitrag den Titel „Coworking ist Networking?!“, welche Rolle nimmt das Coworking im Aufbau des eigenen Netzwerks ein?

Aus meiner Erfahrung ist das Coworking eine Bereicherung für den erfolgreichen Aufbau und Ausbau eines eigenen Netzwerks. Die Dynamik eines Coworks lässt mich immer wieder neue Menschen kennenlernen. Ich erlebe, wie, woran und womit sie arbeiten. Natürlich ist die Voraussetzung dafür, dass ich mich nicht nur hinter meinem Laptop verstecke, sondern auch den Community-Bereich mit nutze und aktiv den Anschluss suche.

Es ist eine Frage der inneren Haltung: gehe ich dort hin um ausschließlich zu arbeiten? Ist es also ein reiner Workspace für mich? Oder lege ich Wert auf eine Community und Austausch?

Ihr habt kürzlich einen Verein gegründet. Welche Ziele verfolgt ihr und wer kann sich euch anschließen?

Smart Doerp steht als Marke für das Schaffen von Synergien zwischen naturnaher Lebensqualität, dörflicher Gemeinschaft, Ideenreichtum, künstlerischer Qualität und New Economy im Nordosten Deutschlands.

Wir vertreten die Interessen von Akteuren und Unternehmen, die durch die Möglichkeiten der Digitalisierung Arbeit und wirtschaftliche Betätigung im ländliche Raum fördern.

Uns kann sich jeder anschließen, der Betreiber und Inhaber von CoWorking Spaces und CoLiving Spaces im ländlichen Raum in MV ist. Wir sind offen für Unternehmen, die digitale Dienstleistungen entwickeln oder anbieten, die dem ländlichen Raum dienen. Und wir haben Mitglieder, die in diesem Bereich beratend tätig sind, oder Organisationen darstellen.

Kurz gesagt: Wenn Du sinnstiftend und digital im bzw. für den ländlichen Raum aktiv agierst, bist Du herzlich willkommen!

Dr. Katri Zeidler zum Thema Coworking auf dem Netzwerktreffen auf Gut Pohnstorf im September 2020

Warum engagierst du dich im Verein und welche persönliche Beziehung hast du zu Coworking-Spaces?

Für mich ist persönliches Engagement der wertvollste Beitrag für das Gemeinwohl. Ich gebe gerne Wissen weiter und liebe es, mich in Projekte einzubringen. Als Inhaberin einer Digitalagentur kann ich theoretisch von jedem Ort aus arbeiten, jedoch habe ich eine Vorliebe für das Land. Während eines Team-Wochenendes auf in einem alten Dorfkrug mitten im Nirgendwo habe ich erlebt, wie gut es uns als Team tat, so miteinander zu arbeiten.

So kam die Idee auf, mit der Agentur auf das Land zu ziehen und dort zu leben und zu arbeiten.

Da wir auch im Bereich Gründungsbegleitung und Startup-Förderung aktiv sind, stehen wir im engen Austausch mit Menschen und ihren Ideen. So pflegten wir vor der Coronakrise einen lockeren cowork-artigen Austausch in unseren Agenturräumen. Daher liegt es mir am Herzen, ein eigenes Cowork innerhalb der Agenturumgebung aufzubauen.

Während der Planungsphase habe ich erlebt, vor welchen Herausforderungen und Hürden man eigentlich steht. Ich bin froh in den vergangenen Monaten die richtigen Ansprechpartner gefunden zu haben. Aus diesem Kreis Gleichgesinnter wuchs schnell eine Arbeitsgruppe und aus dieser nun der Verein Smart Doerp. Für uns ist das die beste Form, voneinander zu partizipieren und unser Wissen an Gründungswillige und Landbegeisterte weiterzugeben.

Du hast kürzlich in einem Gespräch gesagt, dass „der Ort viel mit einem macht“. Was bedeutet das? Welchen Einfluss hat, deiner Meinung nach der Ort auf die Art des Arbeitens? Wirkt sich der Ort sogar auf den Erfolg der Arbeit aus?

Wenn ich Vollzeit beschäftigt bin, verbringen ich einen Großteil meines Lebens in meinem Arbeitsumfeld. Es ist aus meiner Sicht daher ein Lebensraum, der es Wert ist entsprechend gestaltet zu sein.

Auch wenn der Begriff „Human Ressources“ für das Personal einer Firma üblich ist, bin ich kein Rohstoff, der aufbewahrt werden möchte, sondern ein Mensch, dessen Sinne permanent mit seiner Umgebung interagieren. Daher ist es wichtig, in der Planung von Arbeitsräumen darauf Rücksicht zu nehmen. Muss ich zum Beispiel das Gehör vor Maschinenlärm schützen, oder wirken Umgebungsgeräusche, wie etwa Vogelgezwitscher, förderlich auf einen gestalterischen Arbeitsprozess.

CoWorking Spaces im ländlichen Raum bieten Arbeitsräume, die nicht profitmaximiert sind, sondern bedürfnissmaximiert. Daher arbeiten Menschen dort viel lieber als im Büro. Durch die Nähe zur Natur sind die Pausen erholsamer, was sich förderlich auf die Effektivität ausübt. Und durch die Anwesenheit anderer Coworker habe ich die Chance eine neue Perspektive auf meine Arbeit zu bekommen.

Ihr habt auf eurer neuen Homepage eine Karte mit den Coworking-Standorten eurer Mitglieder, die es schon gibt und solchen, die gerade entstehen. Was wünscht du dir für die weitere Entwicklung der Coworking-Spaces in MV? Gibt es Standorte oder Gebäude, in denen ihr großes Potenzial sieht?

Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die besondere Historie des ländlichen Raums von Mecklenburg-Vorpommern. Gutsdörfer überziehen das Land, deren ursprüngliche Funktion die Versorgung der angrenzenden Städte war. Ihr Kern besteht aus einem Dorfzentrum, ein Gutshaus oder Dorfkrug, das den Mittelpunkt der Gemeinschaft darstellt.

Stirbt dieses Dorfzentrum, zum Beispiel durch Verfall, Abwanderung oder Stilllegung, stirbt das ganze Dorf. Ich wünsche mir, dass es uns durch neue Konzepte, wie Coworking und Coliving gelingt, diese Orte wiederzubeleben und ihr Potential zu entfalten. Mit Hilfe der Digitalisierung können wir eine Brücke zwischen Land und Stadt bauen, denn die Menschen können an dem Ort, an dem sie leben wollen (im Grünen) auch (digital) arbeiten.

Für alle, die nun ganz begeistert sind vom Coworking und es ebenfalls anbieten wollen. Hast Du ein paar Tipps, was grundlegend für die Einrichtung eines CoWorks vorhanden sein muss?

Die Möglichkeit ein eigens Cowork zu eröffnen steht und fällt hier in MV mit der Verfügbarkeit von schnellem Internet. Zwar sind wir mitten im Breitbandausbau, aber nicht in dem Tempo, in dem wir Cowork-Enthusiasten es uns wünschen würden.

Und natürlich braucht es ein schlüssiges Konzept und einen tragfähigen Businessplan. Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt, dass Coworks sich oft erst ab einer Größe von 700 m2 rechnen. Diese Größe zu erreichen wird selbst mit einem Gutshaus eine Herausforderung. Daher braucht es ein ergänzendes Businessmodel. Was kann ich außer Coworking anbieten? Was macht meine Region aus? Was braucht die Region und die Dorfgemeinschaft wirklich?

Wenn Du diese Fragen für Dich beantworten kannst, geh los und suche den Austausch mit Gleichgesinnten. Das kann ein regionales Netzwerk wie Smart Doerp sein, aber auch unser Nachbar Schleswig-Holstein bietet mit CoWorkLand einen guten Sparringspartner für einen Einblick in das Thema.

Du hast sicherlich schon in vielen CoWorks gearbeitet, welche würdest Du besonders empfehlen oder welche haben dich persönlich am meisten angeregt, Ideen zu entwickeln oder du hast spannende Menschen getroffen?

Ich habe mein Herz an die Gutshäuser Mecklenburg-Vorpommerns verloren. Hier finde ich alles, was ich für meine Arbeit brauche: Raum und Ruhe zum Denken.

Vielen Dank Katrin!

 

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